Boss of Bossa
Deng denge-deng denge-deng denge-deng … Bonanzaa! Das Banjo-Solo, zu dessen Klängen die Cartwright-Familie in den 60er Jahren jeden Sonntag in die bundesdeutschen Fernsehstuben einreiten musste, entsprang ebenso wie viele weitere Instrumentalbeiträge zu Hollywood-Produktionen wie „Der Pate“ oder „…“ den Fingern des brasilianischen Gitarristen Laurindo Almeida. Dem ungewöhnlich vielseitigen Almeida gelang eine Karriere wie aus dem Bilderbuch des amerikanischen Traumes: Er ging mit Superstars wie Sammy Davis Jr. ins Tonstudio, wurde zum Lieblingsmusiker der damaligen Präsidentengattin „Lady Bird“ Johnson und schloss Freundschaft mit der Hollywood-Prominenz von Rita Hayworth bis Ronald Reagan.
Der Autodidakt
In den USA war Laurindo Almeida stets der Inbegriff des brasilianischen Musikers, in seiner Heimat Brasilien hingegen verschwand er nach seiner Emigration in die USA im Jahre 1947 aus dem Bewusstsein der Musikszene. „Ich musste ein alter Mann werden, bevor Ihr Euch wieder an mich erinnert“, sagte Almeida mit leicht melancholischem Augenzwinkern, als er 1987 in Rio de Janeiro seinen 70. Geburtstag feierte. Dabei hatte Laurindo Almeida bereits vor seinem Weggang zu einer beachtlichen musikalischen Karriere ausgeholt. Als Laurindo José de Araújo Almeida Nóbrega Neto am 2. September 1917 in dem Städtchen Prainha (heute Miracatu) in der Nähe des Hafens von Santos im Bundesstaat São Paulo geboren, wuchs der Knabe in einer musikalischen Familie auf. Die Gitarre seiner Schwester Maria hatte es ihm angetan und er begann darauf nachzuspielen, was er bei der Mutter am Klavier hörte. Nachdem er auf einige 78er-Schallplatten mit Aufnahmen von Fats Waller stieß, entflammte sein Herz für den Jazz.
Mit dem großen Chôro-Komponisten und Flötisten „Pixinguinha“ (Alfredo da Rocha Viana Filho, 1898-1973) nimmt Almeida 1940 in Rio de Janeiro an der berühmten, von dem nordamerikanischen Dirigenten Leopold Stokowski geleiteten Aufnahmesession brasilianischer Musik teil. 1944 heiratet Almeida die portugiesische Tänzerin Maria Natalia Ferreira Ribeiro, die er im Kasino von Urca kennengelernt hatte. Als Laurindo eines Tages den Gitarrenstar Garoto im Konzert erlebt, erfährt er erstaunt, dass man seinen Lebensunterhalt auch als Berufsgitarrist bestreiten kann. Der ehrgeizige Nachwuchsgitarrist schließt Freundschaft mit Garoto und bildet mit ihm einige Jahre später ein erfolgreiches Duo, das im Rundfunk und in Spielkasinos auftritt.
Auf dem Überseedampfer Cuiabá bekam Almeida ein mehrwöchiges Engagement – meistens griff er zum Banjo, um sich gegen die Geräuschkulisse an Bord durchzusetzen – , kam bis nach Frankreich, wo er Gelegenheit bekam, Stephane Grappelli und Django Reinhardt im „Hot Club“ von Paris zu hören, laut Almeida „wirklich eine heiße Spelunke, in der man die Luft schneiden konnte“. Doch überwog der unauslöschliche Eindruck von Djangos Kunst. „Die Not macht Diebe“, pflegte Almeida scherzhaft zu seinen Lehrjahren auf der Gitarre zu sagen, die vor allem darin bestanden, sich von anderen Gitarristen das Wichtigste „abzukupfern“.
Der Filmmusiker
Als Almeida die prominente Tänzerin und Sängerin Carmen Miranda kennenlernt, werden die für sein weiteres Leben entscheidenden Weichen gestellt. Carmen Miranda nimmt Almeida 1947 auf eine ihrer Tourneen in die USA mit. Zu seinem Glück muss Almeida nicht wie Hunderte anderer ausländischer Musiker erst einmal durch Clubs und Cafés tingeln sondern wird von ihr gleich in die große Show-Welt von Broadway und Hollywood eingeführt. Dies ebnet ihm den Weg ins Filmgeschäft: 1948 nimmt er an dem Danny Kaye-Film „A Song is born“ teil, an der Seite von Jazz-Stars wie Benny Goodman, Louis Armstrong, Tommy Dorsey, Charlie Barnet und Lionel Hampton. 1954 folgt der Musicalfilm „A Star is born“ mit Judy Garland und James Mason, in dem Almeida einen kurzen Auftritt als Gitarrist absolviert.
Almeida schreibt darüber hinaus die Filmmusik zu Cornel Wildes Ölbohrinsel-Thriller „Maracaibo“(1958) , Paul Stanleys Spanish Harlem-Melodram „Cry tough“ (1959) und war beteiligt an der 60er Jahre Fernsehserie „The Fugitive“, die in Deutschland, unter dem Titel „Richard Kimble – auf der Flucht“ Furore machte. Er wirkt an einer Reihe weiterer Soundtracks mit, so zu dem Monumentalfilm „Die Zehn Gebote“ (1956) und „Spartacus“ (1960). Schließlich spielt Almeida den Gitarrenpart in Clint Eastwoods „Unforgiven“ (1993): „Claudia‘s Theme“, das von Clint Eastwood höchstpersönlich komponiert wurde.
Der Jazzer
Almeida berichtete später von seinen Erlebnissen bei den Dreharbeiten zu „A Song is born“: „Einer der Musiker, Joe Riddle, hörte mich mit den Fingern spielen und das kam ihm sehr merkwürdig vor, denn jeder spielte damals mit dem Plektrum. Jedenfalls erzählte er Stan Kenton von mir. Da Stan immer nach etwas Neuem Ausschau hielt, sagte er: ‚Ich will keine Plektren oder Elektrisches – ich will etwas richtig Reines und Neues‘, – was schon komisch war, denn sein Orchester war wirklich höllisch laut. Aber er wollte es wirklich.“
Stan Kenton gehörte zu den Jazzmusikern, die eine Synthese von moderner Musik, Symphonik und Jazz anstrebten und ständig mit unterschiedlichsten Besetzungen und Arrangements – bis hin zu ausgefeilten Streichersätzen – experimentierten. Unter dem Motto „Progressive Jazz“ bzw. „Innovations in Modern Music“ übte Kenton einige Jahre lang einen enormen Einfluss auf die Musikszene aus. Seine Solisten gehörten zu den gefragtesten überhaupt, so der Posaunist Kai Winding und die Sängerin June Christy. Bald nach seiner Ankunft in den USA wurde auch Almeida zum festen Mitglied des Stan Kenton-Orchesters, für das er bis 1952 als Solist und Arrangeur arbeitete. Mit der akustischen Konzertgitarre brachte Almeida erstmals einen warmen „spanischen“ Ton in den Jazz und auch der bekannte Jazz-Autor und Produzent Joachim Ernst Berendt hob in seinem legendären „Jazzbuch“ hervor: „Die Soli, die Laurindo Almeida auf manchen Aufnahmen Kentons spielt, strömen so viel Wärme aus wie wenig anderes in der kalt-glitzernden Musik jener Phase der Kenton-Entwicklung“.
Kentons Arrangeur Pete Rugolo – ehemaliger Schüler des französischen Neutöners Darius Milhaud – komponierte und arrangierte das Stück „Lament“ für Almeida, das in der vollbesetzten Chicagoer Oper uraufgeführt wurde. Mit seiner eigenen Komposition „Amazonia“ wurde Almeida in der Carnegie Hall gefeiert. Nachdem Nat King Coles Gitarrist Oscar Moore zum neuen Vorbild für Almeida wird, findet er sich bald regelmäßig auf den oberen Plätzen der von der Jazz-Zeitschrift „Down Beat“ veröffentlichten Jazz Polls wieder.
Als Kenton 1950 erkrankt, wird das Orchester erst einmal aufgelöst, doch Almeida bleibt in Los Angeles, wie einige andere der Musiker auch, so der Saxophonist Bud Shank, Art Pepper, Shelly Manne, der Bassist Eddie Safranski und die Posaunisten Milt Bernhart und Kai Winding.
Der Solist
In diese Zeit fällt auch die Aufnahme von Almeidas erster Solo-Platte: „Ich begann nach einem Platz an der Sonne für mich zu suchen, und so nahm ich mein erstes Album für Capitol auf; die 30cm-LP war noch nicht erfunden – es war eine 25 cm EP („Extended Play“) mit dem Titel „Concert Creations for Guitar“. Auf dieser spielte ich alle mögliche Musik – von Bach bis „Tea for Two“. Meine Absicht war, den Impresarios zu zeigen, was ich so alles draufhatte – so dass ich mir ein paar Brötchen verdienen konnte. Ich denke, eine Platte ist immer das Beste, um bei den Impresarios bekannt zu werden – beim Publikum natürlich auch.“
Als Ergebnis dieser Produktion bekam Almeida einen Vertrag von Capitol angeboten, der später von EMI übernommen wurde. Es sollten rund zwei Dutzend Alben entstehen, die er vor allem auf den spanischen Modellen von José Ramírez und Felix Manzanero einspielte. Er besaß auch ein Instrument des Mexikaners Vicente Solís García und spielte in den 80er Jahren mit Vorliebe auf einer Sonderanfertigung des in Los Angeles beheimateten Gitarrebauers Julius Gido, mit einer in Art eines Cutaway versetzten Zarge, um den Zugriff auf die hohen Lagen zu erleichtern. Hinzu kamen die mit integriertem Tonabnehmersystem ausgerüsteten japanischen Takamine-Konzertgitarren.
Der Arrangeur
Besonders mit Bud Shank intensivierte sich die Zusammenarbeit und ab 1952 entstandenmehrere Platten mit Trio- und Quartettformationen, so „The Laurindo Almeida Quartet, featuring Bud Shank“ für Pacific Jazz. Sehr erfolgreich waren die beiden LPs, die Almeida 1954 für dieses Label unter dem Titel „Brazilliance“ aufnahm – mit Bud Shank an Altsaxophon und Flöte, Gary Peacock am Bass und Chuck Flores am Schlagzeug – und später von Blue Note als CDs herausgebracht wurden.
Die Begegnung mit dem hochkarätigen Bassisten Ray Brown führte dann zu einer langjährigen intensiven Partnerschaft, zunächst als konzertierendes Duo, das die LP „Blues in Greens: Bach Ground“ aufnahm. Zu den beiden stießen der Schlagzeuger Shelly Manne (der später durch Jeff Hamilton ersetzt wurde) sowie wieder Bud Shank am Saxophon – und das später so erfolgreiche Quartett begann seine ersten Auftritte zu absolvieren. Der Name „Laurindo Almeida Quartet“ wurde kurz danach zu „L.A.Four“, wobei „L.A.“ sowohl für Los Angeles stand wie auch als „Laurindo Almeida“ gelesen wurde, der auch die meisten Arrangements für die Gruppe schrieb. Der von der Band erarbeitet „West Coast“-Stil integrierte nicht nur Laurindos brasilianischen Anteil sondern auch Fusion-Arrangements, in denen Bach, Balladen und Spanisches zu einer ausgewogenen, meist gefälligen, doch klanglich stets filigran ausgefeilten Synthese verschmolzen.
Mit Stan Getz kam es 1963 zu einer gemeinsamen Produktion für Verve; das Album kam drei Jahre später heraus. Die Produktion hätte beinahe abgebrochen werden müssen, als Getz‘ Saxophon aus dem Auto gestohlen wurde. Almeida berichtete: „Zwei Stunden später kam Getz mit einem neuen Saxophon ins New Yorker Studio, doch kämpfte er mit den Tränen: ‚Dass das Sax weg ist, könnte ich noch verschmerzen, aber das Mundstück war fünfzehn Jahre alt.‘ Es wurde dann ein gutes Album, aber die besten Takes waren vom Vortag, als Getz noch auf seinem alten Mundstück spielte.“
Ab den 60er Jahren – 1961 hatte Almeida die US-Staatsbürgerschaft angenommen – erweitern sich seine Aktivitäten mit Jazz-Combos. Mit dem „Modern Jazz Quartet“ – das ihn 1963 auf das Jazzfestival von Monterey einlud – nahm er 1964 die LP „Collaboration“ auf und tourte anschließend durch Europa. Das Album enthält eine Version des zweiten Satzes des berühmten „Concierto de Aranjuez“, die von der Kritik hochgelobt und mit Miles Davis‘ „Sketches of Spain“ verglichen wurde. 1971 heiratete Almeida in zweiter Ehe die kanadische Sopranistin Delta „Didi“ Ruth Eamon, mit der fortan gemeinsam auftritt.
In den 1980ern spielt Almeida mit Robert Magnusson, Jim Plank und auch mit dem alten Freund Chuck Flores, die die Linie der „L.A. Four“ weiterverfolgen – etwa mit dem Fusionstück „Quasi una Fantasia“, das den ersten Satz von Beethovens „Mondscheinsonate“ mit Thelonoius Monks „Round about Midnight“ vereint. Auch Gitarrenduos und Trios stehen auf dem Programm, so mit Charlie Byrd, Carlos Barbosa-Lima – sowie in dem Trio „Guitarjam“ gemeinsam mit Larry Coryell und Sharon Isbin.
Der Komponist
In Almeidas kompositorischer Tätigkeit scheint auf natürliche Weise immer wieder sein brasilianischer Hintergrund durch und auch der barocke Bach stand ihm als Brasilianer nah. „Wenn man zu Bach ein Schlagzeug spielen lässt, bekommen wir nichts anderes als Jazz“, war eines von Almeidas Bonmots, der über 200 Songs schrieb, darunter Erfolgsnummern „Choro for People in Love“, „Sahra’s Samba“ und „Twilight in Rio“. Dass Almeida auch ein ambitionierter Tonkünstler sein konnte, beweisen seine Kompositionen für Gitarre und Kammerensemble bzw. Orchester, so sein „First Concerto for Guitar & Orchestra“ und „Lobiana“, sein dem großen brasilianischen Meister Heitor Villa-Lobos gewidmetes Konzertstück für Gitarre und Streicher. Seinen besonderen Respekt Villa-Lobos gegenüber gab Almeida Ausdruck, indem er von „Lobiana“ auch eine Version für Cello – Villa-Lobos war Cellist – und Streicher schrieb.
In Brasilien hat inzwischen eine Wiederentdeckung des berühmten Landsmannes eingesetzt: Seine Geburtsstadt Miracatu veranstaltete 2006 zum ersten Mal das „Gitarresymposium Laurindo Almeida“. Zusätzlich dazu gab die „Guitar Solo Publications“ (GSP) in San Francisco eine dreibändige Ausgabe von Almeidas Kompositionen heraus. Das Experiment, sich mit einer nylonbesaiteten Gitarre in das Neuland des Jazz zu wagen, scheint sich für Almeida am Ende ausgezahlt zu haben: Sein Einfluss auf Gitarristen von Charlie Byrd bis Earl Klugh, von Sigi Schwab bis Romero Lubambo und darüber hinaus ist noch heute spürbar und hat dem E-Gitarrenjazz eine gleichwertige Alternative zur Seite gestellt.
Manuel Negwer (zuerst in Gitarre aktuell Nr. 90, III/2005)